Aktualisierte Orientierungshilfe für Ärzte bei Herzklappenerkrankungen

Zwei wichtige europäische Fachgesellschaften haben jüngst eine neue Leitlinie zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen veröffentlicht. Diese unterstützt Ärztinnen und Ärzte darin, wissenschaftlich fundierte Behandlungsentscheidungen zu treffen. Eine Empfehlung gilt dabei für alle Klappendefekte: Frühzeitiges Handeln zahlt sich aus.

Leitlinien unterstützen Ihre Ärztin bzw. Ihren Arzt darin, Sie nach dem aktuellsten Stand der medizinischen Forschung zu behandeln. Die Leitlinien werden von den jeweiligen Fachgesellschaften erstellt und regelmäßig aktualisiert. Damit informieren sie zum Beispiel über neue Diagnose- und Therapieansätze und darüber, was sich an bereits bestehenden Diagnose- und Therapiemethoden verbessern lässt. Hierfür fließen neben der Expertise der Beteiligten auch die Erkenntnisse aus den laufenden Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen in die Leitlinien mit ein.

So beispielsweise jüngst geschehen durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) und die Europäische Vereinigung für Herz- und Thoraxchirurgie (European Association for Cardio-Thoracic Surgery, EACTS), die gemeinsam die zuletzt 2017 überarbeitete Leitlinie zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen aktualisiert und im Sommer 2021 veröffentlicht haben.

Aortenklappenstenose: Leitlinie rät zu frühem Eingriff

Die Aortenklappenstenose ist hierzulande die häufigste Herzklappenerkrankung. Die Aortenklappe besteht in der Regel aus drei Gewebetaschen, die – wenn sie gesund sind – in der linken Herzhälfte wie ein Ventil wirken und die Herzkammer von der Hauptschlagader (Aorta) abdichten, die den Körper mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Eine Aortenklappenstenose kann angeboren sein oder sich erst im Laufe des Lebens entwickeln. Dieser Klappendefekt zeichnet sich durch versteifte und dadurch weniger elastisch gewordene Klappen aus. Dies hat zur Folge, dass die Klappe sich nicht mehr so weit öffnen kann, dass sich der vollständige Inhalt der linken Herzkammer in die Aorta pumpen lässt. Gleichzeitig muss die Kammer gegen einen höheren Widerstand pumpen, was das Herz auf Dauer überlastet. In der Folge vergrößert es sich und es können Symptome wie beispielsweise Atemnot, verringerte körperliche Belastbarkeit, Brustschmerzen oder Schwindel auftreten.

Eine Aortenklappenstenose kann lange ohne Symptome bleiben. Wird eine hochgradige Aortenklappenstenose im Rahmen einer Untersuchung entdeckt, ohne dass Symptome vorliegen obwohl die linke Herzhälfte bereits geschwächt ist, empfehlen die Leitlinien frühzeitig einzugreifen. Auch profitieren beispielsweise Betroffene mit einer asymptomatischen Aortenklappenstenose und intakter Funktion der linken Herzhälfte von dem Eingriff, wenn zusätzlich noch

  • das Risiko einer Operation für sie gering ist und
  • eine sehr schwere Aortenstenose oder 
  • eine schwere Klappenverkalkung vorliegt.

Denn: Je früher die Behandlung erfolgt, desto höher ist die Chance auf eine bessere Lebensqualität und desto seltener treten weitere herzklappenbedingte Erkrankungen auf. 

Im Vergleich zur früheren Leitlinie wird ein operativer Eingriff nun bei Patientinnen und Patienten empfohlen, die unter 75 Jahre alt sind und ein geringes Operationsrisiko aufweisen sowie bei Menschen, bei denen ein Eingriff mittels eines minimal-invasiven Verfahrens wie der Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) nicht möglich ist. Bei diesem katheterbasierten Eingriff wird eine neue, in einem feinen röhrenförmigen Metallgeflecht zusammengefaltete, aus tierischem Gewebe bestehende biologische Aortenklappe über die Leistenarterie in das Herz bis zur defekten Aortenklappe geschoben. Dabei wird letztere nicht entfernt, sondern lediglich von dem Metallgeflecht zur Seite gedrückt, wenn die neue Aortenklappe an der vorgesehenen Stelle platziert ist. 

Der Eingriff per TAVI ist besonders empfohlen für Menschen, die 75 Jahre oder älter sind oder für die eine Operation nicht in Frage kommt. Dies kann beispielsweise sein, wenn bestimmte Vorerkrankungen oder Gebrechlichkeit vorliegen.

Mitralklappe: frühes Handeln kann Lebensqualität steigern

Auch zur Behandlung der Mitralinsuffizienz (MI) gibt es neue Leitlinien-Empfehlungen. Die MI zeichnet sich dadurch aus, dass die Klappensegel nicht mehr vollständig schließen. Dadurch kommt es zu einem Rückfluss (Regurgitation) des Blutes aus der linken Herzkammer in den linken Vorhof – gleichzeitig pumpt das Herz so weniger sauerstoffreiches Blut in den Körper, wodurch sich das Blut auch bis in die Lunge zurückstauen kann. Es lassen sich zwei Formen unterscheiden: die primäre sowie die sekundäre MI. 

Die primäre MI ist die Folge krankhafter Veränderungen einzelner oder mehrerer Bestandteile des Klappenapparates (Segel, Klappenring, Sehnenfäden, Papillarmuskel). Diese Fehlbildungen können erblich bedingt oder die Folge von Verschleiß oder einer durch Krankheitserreger verursachten Entzündung der Herzinnenhaut (infektiöse Endokarditis) sein. 

Die neuen Leitlinien empfehlen im Falle einer schweren primären MI bereits zeitiger eine Operation, d. h. 

  • wenn noch keine Symptome und keine Linksherzschwäche vorliegen, sich aber durch die MI ein Vorhofflimmern oder ein Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie) entwickelt hat, oder
  • wenn bei Patientinnen oder Patienten, die keine Symptome und nur eine geringes Operationsrisiko haben, die Funktion der linken Herzkammer zwar intakt, aber der linke Vorhof vergrößert ist.

Die Autorinnen und Autoren der Leitlinie haben zudem noch die maßgeblichen Parameter, wann eine Behandlung durchgeführt werden sollte, nach unten angepasst und genauer festgelegt.

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Durch die neue Leitlinie wurden zudem die bereits bestehenden Empfehlungen zur Behandlung der sekundären MI gestärkt. Die sekundäre MI ist meist die Folge einer krankhaft veränderten linken Herzkammer, dabei sind die Segelklappen selbst gesund. Dehnt sich die linke Herzkammer allerdings aus, zieht sie dabei gleichzeitig die Klappen so weit auseinander, dass diese den linken Vorhof nicht mehr von der linken Herzkammer abdichten. Die Ursache für eine krankhafte Veränderung der linken Herzkammer können zum Beispiel eine Myokarditis, eine koronare Herzerkrankung (KHK) oder ein hoher Blutdruck (Hypertonie) sein – letztere Ursachen wiederum können die Folge einer Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) sein.

Die Leitlinien sehen vor, diese Form der MI zu behandeln, indem die Mitralklappe mittels minimal-invasiver Katheter-gestützter Behandlungsmethoden wie zum Beispiel dem MitraClip™-Verfahren repariert wird. Dabei wird der Clip durch eine Vene von der Leiste bis zur linken Herzklappe geführt. Dort verbindet er wie eine Wäscheklammer die Segel der erkrankten Klappe und unterstützt sie so in ihrer Funktion, da sie so wieder besser schließen kann. Da für diesen Eingriff keine Öffnung des Brustkorbs nötig ist, ist dieses Verfahren deutlich schonender als eine konventionelle Operation.

Dieses Verfahren konnte bereits in der Vergangenheit zeigen, dass sich dadurch nicht nur die Symptome bessern lassen, auch die Lebensqualität lässt sich dadurch steigern. Zudem lassen sich so auch die Anzahl der Krankenhauseinweisungen und die Sterberate senken. Bei Bedarf, zum Beispiel wenn weitere Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorliegen, lässt sich die Behandlung mit dem MitraClip™ auch mit zusätzlichen Behandlungen kombinieren.

Trikuspidalklappe – ein häufig unterschätzter Defekt

Auch bei der Trikuspidalklappeninsuffizienz (TI) ist frühzeitiges Handeln die Devise – vor allem, weil diese Erkrankung in der Vergangenheit stark unterschätzt und folglich vernachlässigt wurde. Dieser Klappendefekt tritt häufig gemeinsam mit anderen Klappendefekten auf. Die TI zeichnet sich dadurch aus, dass mit jedem Herzschlag, mit dem Blut in die Lungenarterie gepumpt wird, etwas Blut aus der rechten Herzkammer in den rechten Vorhof zurückfließt, weil die Klappe nicht mehr ausreichend abdichtet. Die TI kann die Folge von zum Beispiel einem vorliegenden Lungenhochdruck sein.

Bleibt eine TI unbehandelt, kann die Erkrankung fortschreiten und das Herz zunehmend belasten. Menschen, die an einer TI erkrankt sind, haben daher ein höheres Risiko zu versterben als Menschen ohne TI. Allerdings ist eine frühzeitige Behandlung nur möglich, wenn Betroffene rechtzeitig ärztlichen Rat einholen, sobald sie verdächtige Symptome bemerken.

Eine neue Behandlungsmöglichkeit stellt auch bei diesem Herzklappendefekt die Katheter-basierte Reparatur der Trikuspidalklappe dar. Dabei werden beispielsweise mittels einer Klammer wie dem TriClip™-System die Segelklappen zusammengeführt. Der neuen Leitlinien-Empfehlung nach sollen Menschen mit einer schweren symptomatischen Trikuspidalinsuffizienz und für die eine Operation nicht in Frage kommt, eine Katheter-basierte Klappentherapie in einem Herzklappenzentrum erhalten, das entsprechende Erfahrung mit erkrankten Trikuspidalklappen hat.

Die große Bedeutung des Heart-Teams

Neben den Neuerungen in der Diagnose und Therapie der Herzklappen stellen die Leitlinien auch die große Bedeutung des Heart Teams immer wieder in den Mittelpunkt. Dieses besteht aus einem interdisziplinären Team, was bedeutet, dass an der Behandlungsentscheidung neben dem betroffenen Menschen auch Ärztinnen und Ärzte aus den Fachbereichen der Kardiologie, Herzchirurgie, Anästhesiologie sowie aus der Intensiv- und Allgemeinmedizin beteiligt sind. Dieses Vorgehen verspricht den größten Behandlungserfolg für den betroffenen Menschen.

Durch die aktualisierte Leitlinie und die Erfahrung aller, die dem Heart Team angehören, ist es Ihren Ärztinnen und Ärzten möglich, sich untereinander zu beraten und so – auch mit Ihnen – die für Sie beste Behandlungsoption zu finden.

  • Quellen

    Autorin: Anna Besson, medproduction GmbH, www.medproduction.de

    Datum: September 2021

    Quellen:

    Vahanian A et al. 2021 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. European Heart Journal (2021), 00: 1–72. doi:10.1093/eurheartj/ehab395.


    9-DAC-5-12734-02 10-2021

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